Ist es Herr Muster, 42jährig, mit den gewünschten Erfahrungen, einem starken Auftreten, guten Zeugnissen und einer beachtlichen Fachkompetenz? Oder ist es Frau Beispiel, 35jährig, mit ausgezeichneten Abschlüssen, Diplomen, sympathischen Wesen und einer hohen Sozialkompetenz?
Wer von beiden bekommt die Führungsstelle in dem schwierigen Verkaufsteam mit erhöhter Fluktuation?
Regelmässig stellte ich meinem damaligen Big Boss - einem Geschäftsleiter aus der Elektro-Branche - solche Entscheidungsfragen. Und zwar nachdem wir aus einem geringen Bewerbungsrücklauf die sogenannten A-Kandidaten zu einem intensiven Gespräch eingeladen hatten.
Und nachdem ich zwei Referenzen eingeholt hatte.
Und nachdem beide Kandidaten in einem Assessment waren und uns die Beurteilungen vorlagen.
Und nachdem das Team beide kennengelernt hatte und ihre Meinung
dazu abgegeben haben.
Und nun beginnt das Bauchweh und die Diskussionen zwischen dem Vorgesetzten und mir, der Personalverantwortlichen.
Der Vorgesetzte tendiert zu Herrn Muster. Er weiss, dass er die Abteilung mit seinen Erfahrungen und hohen Fachkompetenz rasch zielgerichtet führen wird. Der Vorgesetzte sieht vor seinem geistigen Auge den Gewinn hochschnallen, hat Herr Muster doch noch Kundenkontakte, die er ins Unternehmen einbringen will. Trotz all‘ dieser Kriterien, die für Herrn Muster sprechen, spricht der Bauch des Chefs. Er flüstert ihm ein zaghaftes NEIN zu.
Frau Beispiel ist sehr sympathisch. Sie scheint die Empathie und gute Führungskompetenzen zu haben, um das sehr schwierige Team zu vereinen. Sie ist viel besser ausgebildet wie Herr Muster. Sie hat jedoch weniger Erfahrungen in der Branche und auch einen kleineren Kundenstamm, den sie mitbringen kann. Ja und Frau Beispiel ist noch im gefährlichen Alter. Da kann noch eine Familie gegründet werden. Auch hier meckert der Bauch des Vorgesetzten.
Sein Kopf sagt: „nimm den Muster“ und sein Bauch sagt: „nein – dann hast Du noch mehr Probleme mit dem Team. Geh das Risiko mit der Frau Beispiel ein“.
Was macht eine Personalverantwortliche in einem solchen Fall?
Bevor die Stelle überhaupt ausgeschrieben wird, analysiert sie nicht nur die Stelle sondern insbesondere das Anforderungsprofil. Sie lässt den Fachvorgesetzten die Anforderungen aufzählen und klar gewichten. D.h. eine HR-Fachperson hat bevor sie die Stelle in die Medien gibt, ein klares Profil. Sie hat auch die soft facts abgeholt. Und dies schriftlich und stellt dies vorab graphisch dar. Denn Meinungen von Vorgesetzten können ganz schnell kippen, wenn es um die Bewerberwahl geht.
Z.B. hinterfragt sie: Welcher Typ ergänzt das bestehende Team am besten?
Welcher Typ passt am besten zum Vorgesetzten, zur Firmenkultur und zu den Kunden?
Bestenfalls gibt sie dem Vorgesetzten eine Stellenanalyse ab, welche ausgewertet wird und ganz deutlich auf einer Grafik darstellt, wo welche Ausprägungen vorhanden sein müssen.
Dies wohlgemerkt neben den hard facts. Die werden ja meist sehr schnell geliefert.
Und nun kommen wir zurück zu der Entscheidungsfrage: Herr Muster oder Frau Beispiel?
Wie handhabe ich - in der Funktion der Personalerin - diese Sparringsrolle bei der Entscheidungs-frage? Bei der Gretchenfrage in jedem Bewerbungsprozess?
Als erstes lege ich die anfänglich erstellte Auswertung auf den Tisch. Sichtbar.
Das Anforderungsprofil mit Gewichtung breite ich ebenfalls aus.
Danach die Notizen zu den beiden Referenzgesprächen von den beiden Bewerbern, die nun in der engeren Wahl sind.
Dazu die Assessmentauswertungen von beiden.
Nun darf der Vorgesetzte Punkte vergeben. Für jedes Kriterium welches die Bewerber abdecken.
Damit wird sichtbar, welcher Kandidat zumindestens – rein rechnerisch – vorne liegt. Das sind die Fakten und dann kommt meine Frage an den Entscheider:
Welchen Bewerber würdest Du nehmen, wenn Du eine kleine Firma mit 2 Mitarbeitenden hast. Eine Firma, die am Anfang steht und Du aufbauen musst? Eine Firma, bei der jede personelle Fehlentscheidung die Existenz der Firma bedroht?
Und zum Schluss erlaube ich mir meine persönliche, sehr subjektive Meinung kund zu tun. Im obigen Fall nenne ich erst die Vor- und die Nachteile eines jeden einzelnen Bewerbers - sachlich und neutral - und dann gebe ich mein Urteil ab.
Ungefähr so: „Fachkompetenz kann man lernen; Kunden kann man gewinnen – aber Sozialkompetenz ist nur bedingt trainierbar. Und die schwierigen Mitarbeiter eines Verkaufsteams müssen von einer empathischen Person geführt werden, da ansonsten eine erneute Fluktuation droht.
Wenn ich entscheiden könnte, würde ich für Frau Beispiel stimmen. Mit dem Risiko, dass sie in 2 Jahren schwanger wird und ein paar Monate ausfällt. Aber sie trifft faktisch am besten Dein damaliges Idealbild und mit ihr können wir sicherer sein, dass wir die guten Mitarbeiter behalten.“
Ja – es ist mal wieder die Wahl des Einäugigen unter den Blinden, denn die ideale Person ist weder Herr Muster noch Frau Beispiel. Die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht! Stelleninserate zeigen Fantasien auf und sie wissen, dass es diese Person, die dort beschrieben ist, so nicht gibt. Im vorliegenden Fall trifft keiner von beiden die Idealvorstellung des Vorgesetzten. Aber die Stelle ist nun schon seit Monaten unbesetzt. Eine Lösung muss her.
Du als Big Boss bist jedoch der Entscheider. Egal wie Du entscheidest, ich trage den Entscheid.
Was denkst Du liebe Leserin, lieber Leser: wer bekommt den Job? Es liegt auf der Hand …
Big Boss entschied sich mit Bauchweh für die Fachkompetenz mit finanziellem Gewinnaussichten, da er selber der Sozialkompetenz einen geringeren Stellenwert zuordnete. Der Bewerber war ihm übrigens sehr ähnlich und damit für ihn berechenbarer.
Wichtige Entscheidungen treffen ist selten einfach.
Im vorliegenden Fall ist genau das passiert, was ich vermutete. Darauf bin ich nicht stolz. Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte Unrecht gehabt.
Der neue Vorgesetzte kam bei Kunden gut an – und als Chef war er ein Flop. Sie nannten ihn die „Nullnummer“.
Innerhalb von 18 Monaten wechselte das ganze Verkaufsteam. Der neue Vorgesetzte mit dem heimlichen Spitznahmen "Nullnummer" zog ehemalige Mitarbeiter seiner letzten Firma nach.
Etwas was ich in meiner HR-Praxis oft beobachtet habe.
Über die Fluktuationskosten müssen wir an diesem Punkt nicht reden.
Aber eben die Praxis zeigt: bevor ein Häuptling ausgewechselt wird, satteln mindestens drei Indianer ihr Pferd und galoppieren zum nächsten Stamm….und wer weiss, wie es mit Frau Beispiel gegangen wäre?
Da können ich nur mutmassen….
Cheerio, Diana
PS. Dieser Artikel entstand als Blogartikel für die Blogparade #entscheidungtreffen der Zielbar. http://www.zielbar.de
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Immer noch liegt zu wenig Glitzer auf dem Boden der Arbeitswelt.
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