Buchzusammenfassung/-rezension von Heike Kief:
Personalauswahl und die tatsächliche Realität
In seinem Buch „Personalauswahl zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ bezeichnet Prof. Kanning Deutschland eher als ein Entwicklungsland, wenn es aus wissenschaftlicher Sicht um professionelle Personalauswahl geht.
Und das obwohl die Personalauswahl zu den wichtigsten Aufgaben von Personalern gehört. Schlussendlich hängt der Erfolg eines jeden Unternehmens von der Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiter ab. Und nicht nur aus Sicht der Unternehmen ist eine professionelle Personalauswahl von hoher Bedeutung. Personalauswahlentscheidungen prägen oftmals das Leben von Menschen mehr als private Entscheidungen.
Personalauswahl und Diagnostik
Um so mehr gilt es, mehr diagnostische Fachkompetenz und Verstand in die Unternehmen zu bringen, denn Personalauswahl wird häufig immer noch nach Gutsherrenart betrieben: Wer als Bewerber gefällt, wird eingestellt. Den Grund für diese Missstände sieht Kanning in dem blinden Selbstvertrauen gerade schon viele Jahre lang agierender Personalentscheider, die offenbar sich selbst nicht mehr in Frage stellen.
Bauchgefühl, Intuition, Menschenkenntnis und Erfahrung ermöglichen kaum eine professionelle Personalauswahl, so Kanning. Nur ist diese Erkenntnis noch nicht in den Köpfen der Personaler angekommen. Kanning hat den Eindruck, die Erkenntnisse der personalpsychologischen Forschung seien für viele Personalverantwortliche so relevant, wie die Primatenforschung für Schimpansen.
Personalauswahl und Forschungsergebnisse
In seinem Buch stellt er Forschungsergebnisse zur Gestaltung aussagekräftiger Personalauswahlverfahren und die Realität in den Personal- und Fachabteilungen gegenüber. Die sehr großen Differenzen lassen den Schluss zu, dass den meisten Entscheidungsträgern offenbar die Forschungsergebnisse nicht bekannt sind oder von ihnen ignoriert werden.
Kannings Ziel ist es, mit seinem Buch zur Professionalisierung der Personalauswahl beizutragen. Er beschreibt ausführlich die Situation aus Sicht des Bewerbers und der Arbeitgeber. Ich beschränke mich in dieser Rezension auf die Sicht des Arbeitgebers und hier insbesondere die Personalauswahlpraxis.
Personalauswahl und die wertvolle Anforderungsanalyse
Die Anforderungsanalyse ist das Fundament für den gesamten Auswahlprozesses. Denn nur wer weiß, wen er eigentlich sucht, der kann den richtigen Bewerber finden. Kanning zeigt verschiedene Methoden für die Anforderungsanalyse auf. Ziel all dieser Methoden ist es, die wirklich wichtigen Merkmale zu identifizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit den beruflichen Erfolg eines neuen Mitarbeiters begründet.
Nahezu alle Unternehmen gaben an, in irgendeiner Weise Anforderungsanalysen durchzuführen. Auch hier dominierte allerdings die einfache Befragung von Vorgesetzten (54 %) oder die Befragung von Mitarbeitern (58 %). Damit wird in Kauf genommen, den Arbeitsplatz einseitig zu betrachten. Nur 23 % der Unternehmen kombinieren beide Perspektiven miteinander, was zu einem aussagekräftigeren Ergebnis führt.
Personalauswahl - vielfältig
Kanning gibt zu bedenken, dass bei mehr als einem Viertel der Auswahlverfahren Hobbys eine Rolle spielen, obwohl kein Zusammenhang zur späteren Leistungsfähigkeit eines Mitarbeiters erwiesen ist. Ebenso wenig liefert die Frage nach Stärken und Schwächen, die immer wieder gerne in Interviews gestellt wird, keine Antwort, die wirklich weiterhilft. Die meisten Bewerber haben sich mit Bewerbungsratgebern so gut auf diese Frage vorbereitet, dass eine ehrliche Antwort wohl kaum zu erwarten ist.
Das Vorstellungsgespräch sieht Kanning immer noch als die zentrale Methode der Personalauswahl. Es kommt jedoch maßgeblich darauf an, wie gut es vorbereitet ist. Untersuchungen zufolge sind im Durchschnitt strukturierte, anforderungsbezogene Interviews fast achtmal so aussagekräftig wie klassische Einstellungsgespräche, wenn es um die Prognose des zukünftigen Berufserfolgs der Bewerber geht.
Personalauswahl und Strukturierung
Der Grad der Strukturierung – und somit die Aussagekraft eines Interviews – nimmt zu je mehr dieser Kriterien erfüllt sind:
- Anforderungsanalyse
- mehrere Entscheider/Interviewer
- mehrere Fragen pro Anforderungsdimension
- Interviewleitfaden
- Protokollierung der Antworten
- Punktesystem zur Bewertung der Antworten
- regelgeleitete Integration der Befunde
- Vergleich mit Anforderungsprofil
Für einen erfolgversprechenden Interviewleitfaden empfiehlt Kanning zu jeder erforderlichen Kompetenz mehrere Fragen zu stellen, die Antwort zu notieren und mit einem Punktesystem zu bewerten. Dabei ist wichtig, dass vorher feststeht, welche mögliche Antwort welchen Punktwert ergibt. So wird sichergestellt, dass die Interviewer nicht heute so und morgen so beurteilen oder völlig verschiedene Maßstäbe anlegen. Kanning liefert in seinem Buch ein gutes Beispiel für eine solche verhaltensverankerte Skala, die aus wissenschaftlicher Sicht zu empfehlen ist.
Personalauswahl mit einer fünfstufigen Skala
Wie die Bewertung anhand einer fünfstufigen Skala (wobei 1 eine sehr geringe und die 5 seine sehr hohe Ausprägung der Kompetenz bedeutet) vorgenommen, ausgewertet und zu einem hohen Grad an Klarheit führt, beschreibt Kanning in seinem Buch ausführlich. Der Vorteil dieser Methode liegt auf der Hand: alle Bewerber werden in gleicher Weise befragt und bewertet und der Bewerber mit der besten Bewertung erfüllt das Anforderungsprofil am ehesten.
Kanning stellt noch einige weitere Auswahlmethoden wie z. B. Assessment Center, Tests, Fragebögen und deren Prognoseerfolg vor. Intelligenztests schneiden dabei sehr gut ab. Daneben existieren aber auch Methoden wie z. B. Graphologie, Astrologie und Schädeldeutung, die er als völlig absurd ansieht und die keine Aussage über die Kompetenzen eines Menschen ermöglichen.
Im letzten Kapitel seines Buches erläutert Kanning Forschungsergebnisse, die Personalauswahlverfahren aus Sicht der Bewerber aufzeigen. Fehlende Anforderungsanalysen, eine willkürliche Sichtung der Bewerbungsunterlagen und kaum strukturierte Einstellungsgespräche und Assessment Center kommen bei Bewerbern gar nicht gut an. Die Folge ist ein schlechtes Image für Unternehmen.
Heike Kiefs Fazit:
Ein absolut empfehlenswertes Buch, das die Personalauswahlpraxis in Deutschland kritisch unter die Lupe nimmt. Dass unstrukturierte Bewerberinterviews in Form eines netten Plaudergespräches nicht besonders gut für die Personalauswahl geeignet sind, wissen wir schon lange. Kanning belegt diese und andere Thesen mit Studien. Er schlägt mit diesem Buch eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis, die es uns Personalern ermöglicht, wirtschaftspsychologische Erkenntnisse in unserem Alltag umzusetzen. Seine praxistauglichen Empfehlungen für eine professionelle Personalauswahl sind gewürzt mit einer Prise Humor und gelegentlich auch ein klein wenig Ironie. Wer seinen Personalauswahlprozess wissenschaftlich fundiert aufstellen will, erhält hier wertvolle Anregungen. Seinem Anspruch, einen Beitrag zur Professionalisierung der Personalauswahl leisten, wird er mit diesem Buch absolut gerecht.
Übrigens: Prof. Kanning hat einen Youtube-Kanal, in dem er regelmäßig tolle Videos aus seiner Reihe „15 Minuten Wirtschaftspsychologie“ veröffentlicht.
Passend zum Buch empfehle ich zwei Videos:
Gute Interviewfragen im Bewerbungsgespräch
https://www.youtube.com/watch?v=uD3SZphkV9M
Schlechte Interviewfragen im Bewerbungsgespräch
https://www.youtube.com/watch?v=OHeeO-cktTo
Hier seine Homepage:
Und nun zu der Autorin dieses Buchtipps:
Heike Kief arbeitet als Personalleiterin in einem Unternehmen mit ca. 280 Mitarbeitern. Schon während ihrer kaufmännischen Berufsausbildung hat sie Ihre Leidenschaft für die Personalarbeit entdeckt. Sie ist gelernte Personalfachkauffrau, Personalentwicklerin sowie Trainerin IHK und verfügt über eine mehr als 15-jährige Erfahrung im Personalmanagement in KMU. Mit ihrem Mann und ihren drei Jungs lebt sie in der Nähe von Frankfurt.
Herzlichen Dank an meine Gastautorin Heike Kief für diesen Buchtipp! Das wird ja ein köstliches Wochenende.
Heike Kief ist in meinem HR-Netzwerk und tauscht sich gerne zu HR-Theman in der VIP-Gruppe mit Dir aus.
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