„Ich bin Experte im Thema X, weil ich alle Fehler gemacht habe, die es hier gibt!“

 

Letzte Woche schrieb mir einer langjährigen Kundin (HR-Leiterin KMU Schweiz):
„Immer wieder stolpere ich über persönliche Absagen. Die schriftlichen Absagen haben wir nun wertschätzend optimiert.
Das geht ganz gut. Auch haben wir gute Rückmeldungen dazu.
Aber wie sage ich jemand nach dem ersten oder zweiten Gespräch ab, der so überhaupt nicht gepasst hat.
Der sich zunehmend kompliziert zeigte? Der arrogant war. Der zu scheu war….Hast Du da einen Tipp?“

Ich habe viele Fehler in meiner HR-Arbeit gemacht und mache es jetzt noch.
Ich bin auch nicht die eierlegende HR-Wollmilchsau oder ein HR-Gutmensch, aber ich kann in diesem Artikel beschreiben, wie ich Absagen…persönliche Absagen formuliere.
Für die schriftlichen Absagen ist mein Webinar vom 25. Juni 2018 mein Tipp für Dich.
Aber nun zu den persönlichen Absagen:
Absagen haben für mich immer 3 Perspektiven und ich bin überzeugt, da gibt es noch mehr.

kalhh / Pixabay

 

 

 

1. Die Absage aus der Sicht des Unternehmens

Firmencredo, Firmenkultur, Image, Branche etc. spielen hier wohl eine wesentliche Rolle.
In allen Firmen, in den ich als HRlerin eingesetzt war, war vorgegeben, dass jeder Bewerber, der in einem Gespräch war, eine Absage persönlich erhält.
Mit persönlich war telefonisch gemeint. In Ausnahmefällen erfolgt dies auch im Büro. Also im 4- oder 6-Augengespräch.
Der Bewerber wurde nochmals eingeladen. In einem persönlichen Gespräch wurden ihm die Gründe genannt.
Kam selten vor – kam aber vor und wurde immer sehr geschätzt.

Der faire, wertschätze und sachlich einwandfrei formulierte Aspekte war hier wichtig.

2. Die Absage aus der Sicht des Bewerbers

Jeder Bewerber, der ein oder zwei Gespräche hatte und interessiert ist, hat einen Eindruck von der Firma.
Dies ist ein Mensch, der sich bestenfalls zweifach vorbereitet hat. Ein Mensch, der Hoffnungen gehabt hat – ein Mensch, der sich schon in der Funktion gesehen hat.
Enttäuschungen, da Erwartungen nicht erfüllt wurden sind damit bei einer Absage vorprogrammiert.
Natürlich gibt es auch Bewerber, die nur ihren Marktwert austesten wollen.
Oder Bewerber, die eigentlich nicht wirklich wollen und ihre Pflicht bezüglich Arbeitslosenkasse erfüllen.
Lassen wir diesen kleinen Prozentsatz in diesem Artikel ausser Acht.

3. Die Absage aus Drittansicht

Da ist der Partner der Bewerberin, die beste Freundin, die Mutter, der Arbeitskollege, der Referenzgeber oder das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV in der Schweiz), welches den Bewerbungsprozess geschildert bekommt.
D.h. Der Bewerber ist Imageträger.
Ja, wir wissen natürlich sehr genau, dass die Erlebnisse individuell aufgenommen werden.
Spätestens seitdem wir Schulz von Thun kennen, wissen wir auch, dass jeder vier Ohren und vier Münder hat.
Ja und die Kommunikations- und Wahrnehmungslehre schult uns sogar auf die Filter, Interpretationen, die wir alle im Alltag unbewusst oder bewusst anwenden.

Bewerber sind nicht ….. Bewerber verhalten sich…

Sonja Radatz hat in Ihrem Buch „Beratung ohne Ratschlag“ geschrieben:
Menschen sind nicht, Menschen verhalten sich.
Diesen Satz möchte ich hier unterstreichen.
Ein wichtiger Satz für mich.
Ein Satz, der mir die Augen geöffnet hat und viel Erleichterung bringt.

 

Baruska / Pixabay

 

 

 

 

 

 

 

 

Daher:
Bewerber sind nicht zu introvertiert.
Der Bewerber verhielten sich jedoch in diesem einem Gespräch zu introvertiert für die Stelle als Verkaufsleiter.

Bewerber sind nicht zu abweisend oder zu arrogant.
Bewerber verhielten sich in diesem Gespräch vielleicht so….bzw. sie kamen bei uns zwei (HR und Vorgesetzter) so an.

Was heisst das?
Das heisst, dass ein Bewerbungsgespräch für die meisten Menschen eine Art Prüfungsgespräch ist.
Wer ist hier schon voll authentisch, sich ganz selbst?
Bewerber wie auch Personaler verhalten sich in diesem Gespräch.
Ein Bewerbungsgespräch ist eine Stresssituation.
Für den Personaler weniger, wie für den Bewerber.
Das ist klar.
Gesteuert werden unsere Wahrnehmungen durch unsere Erlebnisse, unseren persönlichen Rucksack, zuvor erhaltene Ratschläge, unsere Zukunftsvisionen etc.

Beispiel 1:

Der lockige Lernende voll auf Drogen

Alexas_Fotos / Pixabay

 

 

 

 

 

 

 

Als ich in der IT arbeitete, suchte ich einen Informatiklernenden.
Der Rücklauf war jämmerlich…vielleicht 12 Bewerbungen und dabei stach ein Bewerber ganz stark heraus.
Top aufbereite Unterlagen, sympathisches Bild und 3 Schulzeugnisse, die nur so von 6er strotzten (Erklärung 6 ist in der Schweiz die beste Note).
Im Gespräch selber erschien er zu spät, unkonzentriert und abwesend…um mit der Jugendsprache zu reden: voll gechillt.
Er kam mir so rüber, als dass er vorher eine Haschzigaretten zur Beruhigung genommen hatte.
Ich weiss es nicht, aber erschien mir völlig abwesend und wie auf Wolke 7.
Ich vermutete.
Ich interpretierte.
Ich wagte es jedoch nicht auszusprechen, da es m.E. zu „intim“ gewesen wäre.
Ich rief den Bewerber nach drei weiteren Gesprächen mit anderen Bewerbern an und sagte. „Danke für das Gespräch am Montag. Sie haben wirklich ausgezeichnete Zeugnisnoten, gute Unterlagen. Für die Lehrstelle als Informatiker haben wir uns jedoch für einen jungen Mann entschieden, der hochmotiviert und aufmerksam im Gespräch war.Mein Tipp an Sie: Behalten Sie Ihre guten Noten weiter bei und vor allem: zeigen Sie Ihre Motivation in einem Bewerbungsgespräch.
Diese kam in den 45 Minuten, die wir gemeinsam hatten, nicht rüber“.
2 Tage später rief mich seine Mutter an und sagte: “Helfen Sie mir – ich verstehe es nicht. Überall, wo mein Junge sich bewirbt erhält er ein Bewerbungsgespräch. Und danach erhält er überall erhält eine Absage.
Wir wollen lernen – sagen Sie mir was hat er falsch gemacht? Was kann er besser machen?“
Meine Antwort: „Ihr Sohn hat wirklich gute Bewerbungsunterlagen und ausgezeichnete Noten. Im Gespräch erlebten wir ihn jedoch völlig abwesend, unkonzentriert.
Somit hat der Berufsbildner einen Bewerber vorgezogen, der seine Motivation und Herzblut für die Ausbildung gezeigt. Der wach und aufmerksam war.
Ich habe schon mal überlegt, ob er vielleicht Baldrian vorher genommen hat, weil er nervös war?“ Und dabei hob ich die Stimme an, um dieses nicht als Feststellung sondern als Frage zu deklarieren.
Es herrschte lange Stille am Ende der Leitung.
Dann antwortete die Mutter leise: „Vielen Dank Frau Roth, dass sie so ehrlich waren. Nein, Baldrian war es nicht, aber etwas anderes, was nicht sein sollte!“

Beispiel 2

Der coole Macho aus den Finanzen

deepkhicher / Pixabay

 

 

 

 

 

 

 

Als in der Multimediabranche arbeitete, suchten wir einen Finanzsachbearbeiter/Finanzsachbearbeiterin.
Obwohl der Rücklauf hoch war, kamen nur 4 Personen für ein Gespräch in Frage. Der Favorit auf dem Papier war ein Mann, der bereits in der Branche gearbeitet hatte und genau die Erfahrung gesammelt hatte, die wir benötigten.
Wir begrüssten einen sehr selbstbewussten, lautmalenden, raumeinnehmenden Bewerber,.
Er gab in einem lebhaften, spannenden Gespräch mehrmals Statements dazu ab, dass er ein „konservative Verständnis“ zur Genderpolitik eines Unternehmens hätte.
Das waren so Bemerkungen wie „Wissen Sie - ich als gestandener Mann kann im Gegensatz zu Frauen viel besser mit…“ oder „meine liebe Frau ist für die beiden Kinder da und ich für das Geld. Das funktioniert prima!“
Und stell‘ dir vor: Gegenüber von mir sagt er: “Das ist ja jetzt nicht gegen Sie – Sie sind ja in einem Frauenberuf. Aber wissen Sie, ich finde Frauen sollten nicht in Männerberufe eindringen!“
Der Vorgesetzte und ich waren nach dem Gespräch ganz klar einer Meinung.
Dieser Mann passte nicht ins bestehende Team, dass aus 4 selbstbewussten, starken Frauen bestand.
Nicht das wir die Meinung beurteilten, wir wussten einfach, dass das niemals klappen würde.
Und auch ich kann damit umgehen, wenn man mir seine Meinung zu Männer-Frauenarbeit äussert.
Ja, ich habe es lieber, dass er es mir sagt, als das es nachher irgendwie aufkommt und ich bin enttäuscht, dass ich nicht wusste, wie „er tickt“.
Der Grund war nicht, dass er diese Meinung hatte.
Versteht mich richtig.
Der Grund war, dass er keine 2 Monate in diesem Frauenteam überstehen würde.
Das sie ihm das Leben schwer machen würden.
Und jedes Unternehmen will, dass es fachlich und persönlich passt.
Du willst wissen, was ich ihm am Telefon sagte?
„Herr Meier – fachlich sind Sie top. Ihre Erfahrung in der Branche ist gross. Auch in der Finanzbuchhaltung macht Ihnen keiner was vor.
Als Ergänzung des bestehenden reinen Frauenteams sehen wir (d.h. der Fachvorgesetzte und ich) sie jedoch nicht.
Danke für die Ehrlichkeit im Gespräch und Danke für Ihr Interesse an unserer Firma. “

Personaler sind weder Gott noch Richter.

Mir als Personal steht doch nicht zu, einem Bewerber zu sagen, dass er zu arrogant, so grossspurig, zu unsicher, zu unklar, zu aufgeschlossen, zu nervös ist.
Wer bin ich denn?

 

Dianalejandra / Pixabay

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sandwichtechnik

In dem Zusammenhang möchte ich die Sandwichtechnik, die ich gerne anwende vorstellen:
Stellt Euch ein Sandwich vor.
Da sind zwei Brotscheiben und in der Mitte die Wurst.
Das Brot ist die wohlwollende Einleitung und der wohlwollende Schluss.
Das Lob.
Das ehrliche Lob.
Und jeder Bewerber kann ein ehrliches Lob ernten.
Ich sehe jetzt den ein oder anderen die Augen verdrehen und höre die Worte „wenn Du wüsstest!“.
Nein – akzeptiere ich nicht.
Selbst der Herr Meier von Beispiel 2 hat neben der Fachkompetenz eine starke Auftrittskompetenz. Er gehört zu den wenigen, die sogar im Bewerbungsgespräch einen kleinen Blick auf ihr wahres Ich zeigen.
Wie genial ist das denn?
Also zurück zum Sandwich:
Die Wurst in der Mitte ist der Kernsatz mit dem Grund der Absage.
Diese ist jedoch so formuliert ist, dass es niemals heisst: „weil Du X bist, sondern weil wir Dich in dem kurzen Gespräch so (X) wahrgenommen haben.“
Und weil wir jemand suchen, der soooo oder sooo ist.
Oder: wir jemand gefunden haben, der im Gespräch gezeigt hat, dass er…

 

geralt / Pixabay

 

 

 

 

Die Entscheidung liegt bei der Firma

Schlussendlich: es ist unsere ganz eigene Entscheidung, ob wir ja oder nein zu einem Bewerber sagen.
Nur wir wissen vollumfänglich fast alles, was zu der Idealbesetzung führt.
Der Stellenbewerber kann das gar nicht wissen.
Das Stelleninserat ist ja nur ein Mosaikstein in dem Ganzen.

Das Team, der Vorgesetzte, die Firmenkultur, die Aufgaben, die Ziele, die Projekte, die Kunden, die Arbeitsumgebung und so viel mehr, wird auf Seiten des Unternehmens gekannt.
Und aus dieser Perspektive kann tatsächlich eine Einschätzung gefällt werden, passt der Bewerber in dieses Umfeld.

 

geralt / Pixabay

 

 

 

 

 

 

 

Die Entscheidung liegt bei Bewerber

Schlussendlich kann auch der Bewerber nach 2 oder 3 Gesprächen nein sagen.
Es ist seine freie Wahl. Er hat verschiedene Menschen kennengelernt, er hat viele Informationen bekommen und auch sein Puzzle setzt sich so langsam zusammen. Und er gleicht das ab.
Passt, dass was er in dem Bewerbungsprozess erlebt hat, mit seinem ICH zusammen?
Passt es mit seinen Zukunftsvisionen zusammen?
Kann er da ohne Bauchgrummeln und beherzt JA sagen.
Das Recht der Firma ist auch das Recht des Bewerbers.
Dieses Bewusstsein zu haben, erleichtert vieles.
Wie viele Bewerber haben mir nach dem 2. oder 3. Gespräch abgesagt?
Wie viele Bewerber haben nach einem Assessment, welches 5000 CHF gekostet haben, abgesagt?
Ja – Unternehmerrisiko. Richtig.
Aber betrachtet auch mal diese Sichtweise.

HRM ist mehr als eine blosse Dienstleistung.
HRM ist Kunst.
HRM ist wichtiger als die Abteilungen Verkauf, Finanzen.
Denn Menschen kaufen bei Menschen.
Diese Menschen gewinnt das HR.
bleib Dir immer treu und verändere Dich!
HerzBlutPersonaler-Grüsse, Diana

P.S. am 8. November 2018 findet in Basel ein Praxisworkshop für Personaler statt.
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